Benommen öffnete Seryna ihre Augen. Über ihr erstreckte sich der rötlich graue Himmel eines neuen Morgens. Sie stöhnte und versuchte sich aufzusetzen. Schwindel erfasste ihren Kopf und sie musste sich im feuchten Gras abstützen um nicht zurück zu sinken. Irritiert sah sie sich um. Um sie herum erstreckte sich eine weite Grasebene. Der Wind zeichnete Wellen in die wogenden Halme und Vögel glitten darüber hinweg.
Etwas entfernt lag ein riesiger See. Das Wasser wurde von einem donnernden Wasserfall aufgewühlt und ließ das Spiegelbild des Himmels verzerrt über die Wellen tanzen. Zwei leuchtende Monde versanken gerade hinter den Felsen. War das ein Traum?
Am Fuß der riesigen Felsspitzen, aus denen sich die Wassermassen ergossen, war ein kleines Lager zu sehen. Zuckende Flammen warfen Licht auf die Zelte und Karren, die sich im Schatten der Klippen befanden. Um die Lagerfeuer wuselten dunkle Gestalten. Sie schienen in Aufruhr zu sein. Laute Rufe drangen schwach bis an ihr Ohr.
Seryna rieb sich die Schläfen. Wie war sie denn nur hierher gekommen? Sie versuchte sich zu erinnern was geschehen war. Sie war im Park gewesen. Sie hatte verschlafen und wollte eine Abkürzung nehmen, um rechtzeitig im Unterricht zu sein. Dann war da wieder dieser sonderbare Junge gewesen, der sie schon seit Tagen zu verfolgen schien und… und irgendetwas hatte sie angegriffen. Augenblicklich beschleunigte sich ihr Herzschlag und sie wandte hastig den Kopf. War sie vielleicht verschleppt worden? Niemand war zu sehen. Einige Meter hinter ihr erhob sich ein dunkler Wald. Misstrauisch musterte sie die Schatten zwischen den Bäumen, doch nichts regte sich. Sie schien allein zu sein.
Hufgetrappel ließ sie abermals den Kopf wenden.
Die Gestalten am Seeufer mussten sie entdeckt haben. Johlend trieben sie ihre Pferde an und kamen schnell näher. Seryna rappelte sich auf und trat einen Schritt zurück. Jede Faser ihres Körpers verlangte nach Flucht. Angst erfüllte sie.
Mit einem leisen Surren schoss ein Pfeil auf sie zu und blieb wenige Schritte vor ihr im Boden stecken. Das gab den Ausschlag. Seryna wirbelte herum und ergriff die Flucht. Wo war sie hier nur hineingeraten. Es musste ein Traum sein. Berittene Bogenschützen die sie jagten konnten doch unmöglich real sein.
Keuchend erreichte sie den Waldrand und hechtete in das Unterholz. Gehetzt sprang sie über Wurzeln, schlug sich durch dichtes Gestrüpp und wich den vorbeifliegenden Bäumen aus. Ziellos rannte sie immer weiter. Sie wandte den Blick, versuchte ihre Verfolger auszumachen und stolperte über eine Wurzel. Sie schlug der Länge nach hin und fiel in den Schlamm. Hastig rappelte sie sich auf und drückte sich gegen einen nahegelegenen Stamm. Ihr Atem zitterte und sie versuchte angestrengt sich zu beruhigen. Seryna schloss die Augen, presste sich noch fester gegen das Holz und gab sich Mühe keinen Laut zu machen. Sie spürte die raue Oberfläche der Rinde unter ihren Finger. Ihr Blick glitt über die runzeligen Furchen, die bemoosten Stellen, die im Morgentau glänzten.
Sie spürte wie ihr Herzschlag sich verlangsamte. Das Rauschen in ihren Ohren klang ab und eine bleierne Ruhe legte sich über sie. Ihre Hände begannen zu Prickeln.
Serynas Augen weiteten sich, als sie sah wie ihre Hand langsam in dem Stamm des Baumes versank und zu verschmelzen schien.
Panik durchflutete sie erneut. Sie sprang auf und versuchte sich loszureißen, stolperte und fiel wieder in den Schlamm.
“Ein verfluchtes Wechselbalg in unserem Wald!” zischte eine erboste Stimme und im nächsten Augenblick sprang eine wendige Gestalt aus dem Schatten der Bäume und riss sie zu Boden.
Große Pranken drückten die Luft aus ihren Lungen und bedrohlich wirkende grüne Augen funkelten sie hasserfüllt an.
Die Schnurrbarthaare der Raubkatze vibrierten vor Anspannung, doch das Maul bewegte sich nicht, als das Tier zu Serynas erstaunen mit ihr zu sprechen schien: “Was suchst du in unserem Reich Missgeburt? Bist du eine Spionin des schwarzen Turmes? Sprich!” Ihre Klauen borten sich schmerzhaft in Serynas Brust und Zorn durchflutete sie. “Geh gefälligst runter von mir! Was hast du für ein Problem?” Sie versuchte sich aus dem Griff zu winden, doch es gelang ihr nicht. Wütend schrie sie auf und gab sich schließlich geschlagen. Die grünen Augen starrten sie unverwandt an. “Warum spricht sie die Sprache der Magielosen?”
Eine zweite Gestalt trat aus dem Dickicht. Seryna konnte hinter dem massigen Körper der Raubkatze nichts genaues erkennen.
Es schien sich ebenfalls um eine solches Tier zu handeln, allerdings war die Stimme ruhiger, fast sanft und wirkte auf eine Art… weise: “Weil sie nicht aus dem schwarzen Turm zu kommen scheint. Sonst hätten die Reste des Aufstandes sie nicht verfolgt. Und sie hätte unsere Barrieren nicht übertreten können.” Er umrundet auf leisen Pfoten seine Gefährtin und musterte Seryna mit unverhohlener Neugier. Auch sie starrte ihn faszieniert an. Sein rötliches Fell war auf Rücken und Haupt von einer Art Moosschicht bedeckt. Die grünen Augen schienen zu funkeln und musterten sie durchdringend.
Zwischen seinen Ohren saßen zwei kleine Hörner und sein Schweif schien eine Art Wurzelgeflecht zu sein. Ein wahrlich sonderbares Wesen.
Unterdessen schien er genug gesehen zu haben: “Lass sie los Amenita!”
Widerwillig zog die Raubkatze sich zurück und Seryna spürte wie sie wieder durchatmen konnte.
Sie rappelte sich auf und musterte ihr Gegenüber misstrauisch.
Nach einem schier endlosen Moment angespanntem Schweigens, durchbrach Seryna die Stille: “Was zur Hölle seid ihr? Und wo bin ich hier?”
Die erste Mooskatze war noch immer wie eine Feder gespannt und starrte sie lauernd an. Die zweite setzte sich und sprach sie nun mit samtiger Stimme direkt an: “Mein Name ist Nathaneal und meine Gefährtin heißt Amenita. Wir sind die Hüter der Unschuldigen und Bewohner des Waldes Yunipas.
Man nennt uns das Volk der Lux. Wir sind Katzenwandler.” Er machte eine Pause, wohl um Seryna das gesagte verdauen zu lassen, denn die Verwirrung musste ihr deutlich ins Gesicht geschrieben stehen. Sie glaubte ein Schmunzeln erahnen zu können, als er fortfuhr: “Nun mein Kind, du scheinst offenkundig noch nicht von uns gehört zu haben, was die Frage aufwirft, wer oder was du bist und wo du herkommst. Augenscheinlich hast du Fähigkeiten und Aussehen des Wechselvolkes an dir, doch gibt es wohl kaum einen Gefolgsmann Amonons, dem die Lux nicht bekannt sind.”
“Vor allem, da ihr im letzten großen Krieg versucht habt unsere Reihen zu infiltireren” Zischte seine Gefährtin dazwischen.
Seryna schwirrte der Kopf. Wo war sie hier nur gelandet? Dies musste ein absurder Traum sein. Vielleicht hatte sie sich im Park den Kopf gestoßen und hatte das Bewusstsein veloren. Sie rieb sich den Kopf und sah sich stirnrunzelnd um. Der dichte Wald der sie umschloss hatte eine beruhigende Wirkung. Das Rauschen der Blätter und der Geruch nach Erde hingen in der Luft. All das wirkte so furchtbar realistisch. “Wie bin ich nur hierhergekommen?” murmelte sie und bemerkte nicht, wie Nathaneal auf sie zugekommen war. Als sie den Kopf wand, fand sie sich unmittelbar vor seinem Gesicht wieder. Die schillernden Augen mussterten sie intensiv und schienen direkt in ihr Innerstes zu blicken. Wonach er wohl suchte.
“Wie nennt man dich mein Kind?” beim Sprechen streiften seine Tasthaare ihr Gesicht und Seryna zuckte zurück. Sie zögerte: “Ich, ich bin. Ich meine mein Name ist… Ich heiße Seryna.” Ihre Stimme wurde fester. Sie atmete tief durch und richtete sich auf. “Und ich kenne tatsächlich keine Luxe, oder Wechselvölker oder irgendwelche berittenen Bogenschützen. Ich bin ein Mensch und gehöre hier nicht her!”
Nun war sich Suavis sicher, dass Nathaneal lächelte. Abermals setzte er sich auf seine Hinterläufe, doch dieses Mal, begannen seine Konturen zu verschwimmen. Seine Umrissen begannen zu fließen, wurden unscharf, bis ein kleines gedrungenes Männlein vor ihr stand. Es reichte ihr ungefähr bis zum Knie und hatte langes weißes Haar. Seine Haut sah aus, wie knorrige, von Moos bewachsene Rinde. Lediglich seine Augen hatte weiterhin das leuchtende grün, wie das der Mooskatze. Auch Amenita schien sich nun etwas zu entspannen, wenn sie Seryna auch weiterhin keine Sekunde aus den Augen ließ.
Der kleine gebrechlich wirkende Mann deutete eine Verbeugung an und lächelte nun breit: “Nun mein Kind, wer oder was du auch bist, hierher gehörst du ganz gewiss. Das Land Mira und vor allem der Wald Yunipas, würden keine Außenstehenden einlassen und auch wenn du es noch nicht bemerkt haben magst, dein Aussehen entspricht keinesfalls dem eines magielosen Menschen. Doch wie dem auch sei, erkenne ich keine bösen Absichten in deinem Herzen und freue mich sehr dich kennenzulernen. Bitte folge uns doch nach Lynx und wir werden gemeinsam versuchen, die Antworten zu finden, nach denen du suchst.”
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